In der neuen Netflix-Serie „Der Untergang des Hauses Usher“ (Originaltitel „The Fall of the House of Usher“) verschmelzen die Literatur der schwarzen Romantik und das moderne Streaming auf faszinierende Weise. Diese atemberaubende Adaption der zeitlosen Klassiker von Edgar Allan Poe wird geschickt mit der Gegenwart verwoben. So entsteht ein Netz aus –mal mehr, mal weniger subtilen – Anspielungen auf die Werke des Meisters des Schreckens.
Im Folgenden erfährst du alles über die Abgründe des menschlichen Geistes und, noch viel bedeutsamer, die künstlerische Brillanz hinter dem“ Untergang des Hauses Usher“.
In diesem Beitrag ...
werden wir über die folgenden Kurzgeschichten Poes sprechen*:
Der Untergang des Hauses Usher . . . . . . . . . . . . . . (September 1839)
Die Maske des Roten Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . (30. April 1843)
Der Doppelmord in der Rue Morgue . . . . . . . . . . . . (April 1841)
Der schwarze Kater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (19. August 1843)
Die Werke hier in all ihrer Pracht wiederzugeben würde den Rahmen sprengen, weswegen ich nur den für die Serie relevanten Inhalt grob wiedergeben werde, um auch für Einsteiger der poe'schen Literatur eine gemeinsame Kenntnisgrundlage zu verschaffen.
Wer sich darüber hinaus von einigen Titeln angesprochen fühlt, kann einfach das Datum rechts anklicken und online genießen.
Dieser Beitrag enthält SPOILER zur Serie, wer also nichts verraten bekommen möchte, sollte sich zunächst die Serie ansehen und anschließend wiederkommen. ;)
Folge 1: "Mitternacht, von Gram Umschattet"
Der Folgetitel zitiert den ersten Vers von Poes wohl berühmtesten Werk „Der Rabe“.
Gleich zu Beginn der Serie erfahren wir, dass in der letzten Woche alle 6 Kinder des reichen CEOs Roderick Usher verstarben. Kurz darauf lernen wir C. Auguste Dupin kennen – ein Anwalt, der die Ushers wegen des Verkaufs eines süchtig machenden Schmerzmittels namens Libudon verklagen möchte. Es wird nämlich als „nicht süchtig machend“ vermarktet und hat laut seinen Recherchen bereits tausenden Menschen das Leben gekostet. Nun lädt Rodrick Usher Dupin für ein Gespräch in ein heruntergekommenes Haus ein, bei dem er Dupin gesteht, dass er weiß, wie und weshalb seine Kinder ums Leben kamen. Des Weiteren garantiert er ihm, dass er wegen Mordes verurteilt werden könne – sollte Dupin ihm zuhören.
Dies ist die Rahmenhandlung der Geschichte – in den nächsten 8 Stunden wird der Zuschauer zunächst über den Niedergang & die Entstehung des Familienimperiums aufgeklärt.
Hier findet sich bereits ein interessanter Hinweis auf die Werke Poes: Der Name Dupin wurde sich von Erzählungen wie „Die Morde in der Rue Morgue“, „Der entwendete Brief“, oder „Das Geheimnis der Marie Rogêt“ geliehen, wo Dupin als erster deduktiv arbeitender Rätsellöser der Geschichte auftritt.
Seine Erzählung beginnt Roderick in seiner Kindheit im Jahr 1950. Seine Mutter arbeitet zu dieser Zeit als Sekretärin bei Mr. Longfellow, dem CEO der Firma „Fortuna Pharmaceuticals“. Obgleich verheiratet, ist Longfellow auch der Vater von Roderick und seinem Zwilling Madeleine, schert sich aber kaum um die beiden Kinder.
Bald darauf wird ihre Mutter schwer krank, verweigert aber jegliche Schmerzmittel oder andere medizinische Hilfe. Darum gehen die Geschwister zu Longfellow, bei dem sie sich Hilfe erhoffen – immerhin hatte ihre Mutter ihm jahrelang treue Dienste erwiesen. Der Geschäftsführer weigert sich jedoch einen Finger zu rühren, weswegen Mutter Eliza kurze Zeit später stirbt. Nachdem Roderick und Madeleine die Tote in einem selbst gezimmerten Sarg im Garten beerdigen, ist diese letzte Ruhe nicht von langer Dauer.
Eliza Usher, plötzlich wiederauferstanden, trägt sich zum Hause Longfellow, wo sie letzteren auf den Eingangsstufen des prächtigen Anwesens erwürgt und, diesmal wirklich tot, neben ihm niedersinkt. Die düsteren Umstände des Todes ihrer Mutter werden später noch eine wichtige Rolle spielen, so take notes!
Auch interessant ist, dass Longfellow auch im wahren Leben ein Antagonist für Poe war – die Figur Roderick Usher ist nämlich eine Verschmelzung des Schriftstellers selbst mit der fiktiven Figur Roderick Usher. Letzterer lädt seinen Kindheitsfreund in der Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ in sein Familienanwesen ein. Ähnlich wie in der Ausgangssituation der Serie sind auch hier die einzigen Verbliebenen der Usher Familie Roderick und seine Schwester. Man sieht also schon hier deutlich die Parallelen. Das Ende der Erzählung wird in Folge 8 aufgegriffen, also warten wir mal ab . . .
Folge 2: "Die Maske des Roten Todes"
Ist der gleichnamige Titel einer Kurzgeschichte Poes, erstmals erschienen am 13. April 1843.
Nun wird in jeder Folge der Tod einer der 6 Usher-Nachfahren beleuchtet, beginnend mit Prospero Usher. Dieser plant eine hyper-hedonistische Party im Gewand eines Maskenballs, damit die Identität der exklusiven, super-reichen Gäste verschleiert bleibt. Stattfinden soll die Fete in einem verlassenen Gebäude des Familienunternehmens Fortunado. Um Mitternacht, „wenn der Regen fällt“ (durch Wassersprenkler im Gebäude) soll der Spaß dann richtig losgehen. Kurz vor der Klimax der Party taucht ein ungeladener Gast auf – eine in einen roten Umhang gehüllte Frau mit einer Totenkopfmaske, die ein kurzes, ominöses Gespräch mit Prospero führt. Als dieser danach das Signal gibt, die Gäste mit den Sprenklern zu übergießen und somit das Signal zu geben, spritzt statdessen Säure aus der Decke was allen Anwesenden, inklusive Prospero Usher, ein schmerzhaftes Ende bereitet.
In Poes Kurzgeschichte geht es ähnlich zu: Während die gemeine Bevölkerung aufgrund einer Plage dahinsiecht (In der Serie das Medikament Libudon.), feiert Prinz Porspero einen Maskenball für seinesgleichen. In sieben Räumen, die alle farblich unterschiedlich gestaltet sind, herrscht ausgelassene Stimmung, bis um Mitternacht ein ungeladener Gast mit Totenkopfmaske und rotem Umhang durch die sieben Räume schreitet, woraufhin „einer nach dem anderen (…) in den blutbedeckten Sälen ihrer Lustbarkeit“ dahinsanken.
Auch in der Serie sind einzelne Szenen der Party, ähnlich den sieben Räumen der Erzählung, mit unterschiedlichen Farben beleuchtet. Zudem konfrontiert auch Prinz Prospero den ungeladenen Gast, was in dem kurzen Gespräch von Prospero Usher und der Frau widergespiegelt wird.
Folge 3: "Mord in der Rue Morgue"
Entlehnt aus der Kurzgeschichte "Der Doppelmord in der Rue Morgue", erstmals erschienen im April 1842.
In der dritten Folge des Netflix Originals lernen wir die Ushers besser kennen. Besonders Camille Usher, die für die PR (Public Resonations bzw. Öffentlichkeitsarbeit) der Familie zuständig ist, steht hier im Vordergrund, da sie versucht herauszufinden, was es mit den Tierversuchen ihrer Schwester Victorine auf sich hat. Es wird gemunkelt, dass Victorine die Ergebnisse der an Affen durchgeführten Experimente verfälscht, um schneller zu Menschenversuchen übergehen zu können, wie Roderick es von ihr fordert. Im Namen dieser Forschungseinrichtung – Roderick Usher Experimental, kurz R.U.E. verbirgt sich eine clevere Anspielung auf Poes Detektivgeschichte: denn „Rue“ bedeutet „Straße“ und „Morgue“ wird mit „Leichenschauhaus“ übersetzt. Eine Folge zuvor erzählt Camille ihren Assistenten, dass die Familie die Forschungseinrichtung „Rue Morgue“ nennen – schaut man sich dazu auch noch die Handlung in Serie & Buch an, wird die Analogie perfekt.
Als Camille am Abend – und auch gegen Ende der Folge – auf eigene Faust zu R.U.E. fährt, um sich die Versuchstiere anzusehen und den Skandal ihrer Schwester aufzudecken, wird sie von einem dem Käfig entflohenen Affen erschlagen.
Ein ähnlicher Anblick bietet sich C. Auguste Dupin in der Erzählung „Doppelmord in der Rue Morgue“ Poes. Sie wird als erste Detektivgeschichte in die Geschichte eingehen. Dreh– und Angelpunkt diese Geschichte ist Dupin der durch einen Zeitungsartikel auf den skurrilen Fall aufmerksam geworden ist. (Da Dupin in der Serie bereits einen anderen Posten platziert, ist in dieser groben Nacherzählung Camille in der Rolle des „Detektivs“.)
In der ursprünglichen Erzählung wurden zwei Pariserinnen, Mdm. L'Espanaye und ihrer Tochter Camille in ihrer Wohnung im vierten Stock tot aufgefunden. Doch alle Türen und Fenster des Tatortes sind verriegelt. Auch können sich Zeugen nicht einigen, welche Sprache sie vom vermeintlichen Täter im Inneren der Wohnung vernommen haben. Dupin kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Morde einem Orang-Utan zuzuschreiben sind, der seinem Halter entkommen war.
Folge 4: "Der schwarze Kater"
Ebenfalls Titel einer 1843 veröffentlichten Kurzgeschichte Poes.
Diese Kurzgeschichte & somit das Thema der Folge wird bereits in Folge drei angekündigt: dort sehen wir, wie Leo Usher nach einem Drogenrausch erkennen muss, dass er Pluto, den Kater seines Freundes Julius, abgeschlachtet hat. Vorerst erzählt Leo, der Kater sei entlaufen, doch als sich Julius zunehmend Sorgen macht, versucht Leo in einem Tierheim „Ersatz“ für Pluto zu finden. Erfreut stellt er fest, dass sich dort ein Kater befindet, der dem entlaufenen Pluto haargenau gleicht. Erleichtert adoptiert er Pluto Nr. 2 und der Hausfrieden scheint wiederhergestellt.
Doch bald fühlt sich Leo von dem Tierchen verfolgt und fürchtet, die Katze wolle ihm Böses. Wahnhaft sucht er den Kater, doch scheint dieser sich vor ihm zu verstecken, bis er letztlich sogar die Wände seines Apartments einschlägt.
Indes kommt Julius nach Hause, doch seine Versuche Leo zu beruhigen, tragen keine Früchte. Letzterer sieht den Kater endlich auf dem Balkon sitzen und stürzt sich auf ihn – doch kann er sich nicht halten und stützt über das Geländer in die Tiefe.
Diese Geschichte ist eher in ihrem grundlegenden Motiv und weniger der konkreten Handlung der berühmten Geschichte Poes nachempfunden. Hier beginnt ein zunächst tierlieber Mann scheinbar grundlos seine Schützlinge – darunter einen schwarzen Kater namens Pluto – zu foltern, sodass er letztendlich sogar seinen geliebten Kater an einem Strick im Garten erhängt. In er folgenden Nacht brennt sein Haus bis auf die Mauer am Kopfende des Ehebettes
wieder, wo sich der Umriss des Katers inklusive Strick eingebrannt hat. Bei einem Trinkgelage in einer Bar findet der namenlose Erzähler eine neue Katze, die, bis auf einen einzigen weißen Fleck ,Pluto bis aufs letzte Haar gleicht. Er nimmt den Kater mit zu sich nach Hause, wo er über die nächste Zeit feststellen muss, dass der weiße Fleck sich zu dem Umriss eines Galgens formt. Auch er macht nun Jagt auf den Kater und stellt ihn in seinem Keller, doch kommt seine Frau ihm beim Versuch die Katze zu erschlagen die Quere. Statt des Katers trifft es sie. Sofort beginnt er damit, die Leiche seiner Frau einzumauern. Als einige Tage später die Polizei aufgrund des Verschwindens der Frau ermittelt, führt der Mann die Beamten unter anderem in den Keller, wo plötzlich ein ohrenbetäubender Schrei hinter der Mauer ertönt, der den Mann verrät – er hatte den Kater mit eingemauert.
* Anmerkung
Poe veröffentlichte zunächst in lokalen Zeitungen. Um seinen Umsatz zu steigern, verkaufte er seine Werke später erneut an verschiedene Journalen; bei etlichen dieser Neuauflagen nahm er sowohl im Text als auch, deutlich auffälliger, am Titel Veränderungen vor, weswegen heute mehrere Versionen eines Werkes existieren. Zudem haben sich über die Jahre etliche Übersetzter mit Poes Nachlass befasst, was zu den Abweichungen beitragen kann.
So existiert für die Kurzgeschichte „Der schwarze Kater“ auch der alternative Titel „Die schwarze Katze“, oder „Die Grube und das Pendel“ für „Wassergrube und Pendel“. Also nicht wundern ;)
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