Paris, 6. Juni. 1832
In den engen Gassen um die Rue St. Martin haben sich rund 500 Mann verbarrikadiert. In der sonst so belebten Straße von Paris riecht es an diesem Tag nach Schießpulver und Blut. Die Fensterläden der umstehenden Häuser bleiben trotz der schwülen Hitze geschlossen. Neben den toten Körpern ihrer Kameraden harren sie aus, die Hoffnung auf Hilfe scheint verloren. Es ist vier Uhr und es regnet stark. Auch in den folgenden Stunden wird der Kanonendonner nicht verstummen. Vor einigen Stunden haben sie noch siegeshungrig gekämpft, in Anbetracht der schieren Überzahl ihrer Gegner – diese rechnet sich, so heißt es zu dieser Zeit, auf circa 60.00 Mann – gilt es nur noch heroisch zu sterben.
Am nächsten Tag um diese Zeit werden sie endgültig besiegt sein.
In einer Woche wird auf der Rue St. Martin wieder turbulenter Alltag einkehren.
In einem Jahrzehnt wird der Mut der Patrioten ihren Nachfolgern Rückgrat geben um den Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fortzusetzen.
In zwei Jahrhunderten wir man davon nur noch lesen.
Heinrich Heine, der zu dieser Zeit nur zwei Straßen entfernt ein Zimmer in der Porte St. Denis bewohnt und die Geschehnisse des Juniaufstands vor Ort festhält, kann an diesem Abend nicht schlafen.
Eine ähnliche Szene beschreibt Victor Hugo, der ein großes persönliches Interesse für die französische Revolution hegt, einige Jahre später in seinem weltbekannten Roman "Les Miserables", also "Die Elenden". Doch beginnt Hugos Geschichte einige Jahre zuvor mit einem Mann namens Jean Valjean.
Jean Valjean
In den letzten Jahren wurde Valjean lediglich mit "24601" angesprochen, da er zu 19 Jahren Strafarbeit in einem sogenannten "Bagno" verurteilt wurde, in denen Sträflinge während ihrer Haft, meist zu zweit aneinander gekettet, die schwersten & gefährlichsten Arbeiten des Schiffbaus verrichten mussten.
Valjean hatt seine Zeit dort gerade abgesessen, als wir ihm das erste mal begegnen. Beim Verlassen der Strafanstalt gibt ihm der Polizeidirektor Javert, ebenfalls eine zentrale Figur der Geschichte, einen "gelben Pass". Dieser Pass soll Valjean als gefährlichen Verbrecher zu erkennen geben und macht es ihm geradezu unmöglich, eine ehrliche Anstellung zu finden: Man bedenke, dass wir uns im Frankreich des beginnenden 19. Jahrhunderts befinden, die Industrialisierung und somit ein Mangel an Arbeitsplätzen in den Startlöchern stand & Armut weit verbreitet war.
Ausgehungert trifft Valjean in Digne den gutherzigen Bischof Myriel, welcher ihm Essen & eine Unterkunft für die Nacht gewährt. Tatsächlich war letzterer mutmaßlich dem damaligen Bischof von Digne, François-Melchior-Charles-Bienvenu de Miollis, nachempfunden, der 1805 von Napoleon persönlich zum Bischof der Stadt Digne de Miollis ernannt worden war. Als am nächsten Morgen die Vögel ihr Lied anstimmen, ist Valjean schon über alle Berge – mit wertvollem Diebesgut des Klosters im Gepäck.
Die Freude darüber eine feine Beute gemacht zu haben, währt jedoch nicht lang, da er alsbald von “Gendarmen”, also Polizisten entdeckt und partout zurück zum Kloster gebracht wird. Dort versichert der Pastor jedoch zum Erstaunen aller Beteiligten, er habe Valjean diese Habseligkeiten geschenkt, woraufhin die Wachen sich mißtrauisch zurückziehen. Bischof Myriel gibt Valjean sogar noch zwei silberne Kerzenleuchter, jedoch nicht ohne eine Bedingung zu stellen: Valjean soll das feine Silber nutzen, um ein "ehrlicher Mann" zu werden. Tief berührt von der Güte des Bischofs entscheidet sich Valjean, den Weg Gottes einzuschlagen und der Bedingung des Bischofs folge zu leisten.
Fantine
Nach einem Zeitsprung von 5 Jahren befinden wir uns im Jahr 1815 (also 17 Jahre vor dem Juniaufstand). Valjean hat sich unter dem Alias "Madeleine" in der nordfranzösischen Stadt "Montreuil-sur-Mer", also Montreuil am Meer (nicht zu verwechseln mit Montreuil (Seine-Saint-Denis) einem Vorort von Paris) niedergelassen. Durch eine Vielzahl guter Taten hat er sich hier beliebt gemacht & wurde letztendlich sogar zum Bürgermeister ernannt.
In Montreuil treffen wir eine weitere Figur unserer Erzählung; Fantine. Die junge Frau arbeitet als Grisette in einer Fabrik Madeleines (alias Valjeans).
"Grisette" war die Bezeichnung für eine alleinstehende, junge Frau, die ohne Aufsicht ihrer Eltern wohnte und ihr Einkommen selbstständig erwirtschaftete,, beziehungsweise verwaltete – für damalige Verhältnisse ungewöhnlich. Fantine hat jedoch nicht viel zu verwalten, da sie jeden erwirtschafteten Sou (Äquivalent zu Cent) zu der Pflegefamilie ihrer Tochter Cosette, den Thénadiers, schickt. Der Vater des Kindes, ein Stundent namens Félix Tholomyès, hat sie mit dem Kind allein gelassen. In Montreuil macht man jedoch schon bald die Entdeckung, dass Fantine ein uneheliches Kind hat, weswegen sie ihre Arbeit & gesellschaftlichen Rang verlor.
Um dennoch für Cosette sorgen zu können, verkauft Fantine erst ihre blonden Haare, dann ihre Zähne und schließlich auch sich selbst. Als sie bei ihrem nächtlichen Geschäft von einem “Kunden” angegriffen wird, gegen den sie sich wehrt, wird sie von Inspektor Javert inhaftiert. Bei ihrer Anhörung schreitet jedoch Madeleine ein, der Fantine Glauben schenkt. Zwar hat Fantine eine Lungenvergiftung, doch die Schwestern des Krankenhauses, in das Mandeleine sie bringt, sowie sein Versprechen, bald ihre Tochter Cosette zu ihr zu bringen, halten die junge Mutter am Leben.
Javert verdächtigt indes einen Unbeteiligten namens Champmathieu, der untergetauchte Valjean zu sein. Von diesem Verdacht berichtet Javert dem Bürgermeister Madeleine (Valjean) und gesteht, dass sein Verdacht zuvor auf Madeleine selbst gelegen hätte, was er zutiefst bereue.
Valjean sieht sich in einer Zwickmühle – sollte er sich stellen, um den unschuldigen Champmathieu vor einer Strafe zu bewahren? Schließlich lastet in Montreuil nicht nur die Verantwortung für hunderte Fabrikarbeiter und die Einwohner der Stadt auf ihm – auch Fantine gegenüber fühlt er sich verpflichtet.
Schließlich besinnt er sich auf die Worte Bischof Myriels; Ein rechtschaffener Bürger wollte er sein. Madeleine gibt sich als Valjean zu erkennen und wird am Krankenbett Fantines verhaftet. Infolge des Schocks – so etwas hätte sie ihrem Retter nie im Leben zugetraut – stirbt sie.
Doch keine Sorge, an diesem Punkt ist unsere Geschichte noch nicht vorbei. Valjean täuscht seinen Tod vor, um aus der Haft zu entkommen und rettet sein Vermögen. Als nächstes macht er sich daran, Cosette zu sich zu hohlen.
Das Versprechen für Cosette zu sorgen lastete schwer auf seinen Schultern, doch ging er in seiner neuen Vaterrolle voll auf. Samt Kid & Geld macht Valjean sich unter einem neuen Decknamen – Fauchelevent – auf nach Paris, wo er sich für zahlreiche wohltätige Projekte einsetzt, was ihn auch hier zu einer prominenten Persönlichkeit macht.
Cosette & Marius
So wächst Cosette unter der schützenden Hand ihres Ziehvaters in der Rue Plumet auf. Schon bald sieht sich Valjean jedoch einer größeren Bedrohung als Javert, der nach wie vor dem entflohenen 24601 auf den Fersen ist, gegenüber – einem Freier seiner Tochter. Bei Spaziergängen im Luxemburg-Garten hat sie ein Jurastudent aus gutem Hausem namens Marius Pontmercy entdeckt, der sich sofort in sie verliebt.
Wie viele Studenten dieser Zeit knüpfte er durch einen guten Freund Kontakte zu einer Revolutionären Studentenbewegung, den Freunden des ABC. Die Bezeichnung ist keine Ehrung des französischen Alphabets, sondern ein Wortspiel: a-b-c, schnell ausgesprochen, ähnelt dem französischen Wort “abaissé”, was mit “die Unterdrückten” übersetzt werden kann.
Um Cosette näher zu kommen, will Marius herausfinden, wo Cosette wohnt. Mit diesem Anliegen wendet er sich an seine gute Bekannte & Nachbarin Éponine Thénadier. Kommt der Nachname bekannt vor? Éponine ist die leibliche Tochter des Paares Thénadier, welches Cosette als junges Mädchen beherbergt hatte. Zwar wurde Éponine als Kind bevorzugt & verwöhnt, doch nun sieht es anders aus. Während Cosette ein sorgloses Leben in der Oberschicht führt, ist Éponine dazu gezwungen ihre Familie bei kriminellen Machenschaften zu unterstützen, um nicht zu hungern. Zudem ist auch sie in Marius verliebt. Der hingegen ahnt nichts von ihren Gefühlen. Dennoch beschafft sie ihm die Adresse Cosettes, woraufhin Marius seiner großen Liebe einen langen Brief schreibt, in dem er seine romantischen Gefühle ihr gegenüber zum Ausdruck bringt.
Doch nicht nur Marius erfuhr die Adresse von Cosette: Eponines Vater erkennt, dass es sich um das Haus des wohlhabenden Monsieur Fauchelevent handelt und schmiedet einen Plan, um Vater & Tochter zu berauben. Eine uns bereits bekannte Person – Inspektor Javert - vereitelte den Überfall jedoch, ohne zu wissen, dass der lang gesuchte Sträfling 24601 vor ihm steht.
Noch will Thénadier nicht aufgeben. Valjean bangt zudem um die Geheimhaltung seiner Identität, weswegen er sich entscheidet, mit Cosette nach England zu fliehen.
Die Elenden
Nun überschlagen sich die Ereignisse und führen uns in raschem Tempo zum Anfang unsrer Erzählung zurück – Marius sieht ohne Cosette an seiner Seite keinen Grund, am Leben zu bleiben, weswegen er gemeinsam mit den Freunden des ABC am Juniaufstand teilnimmt. Auch Eponine mischt sich, verkleidet als Mann, unter die Revolutionäre. Valjean, der inzwischen von der Beziehung zwischen seiner Ziehtochter und Marius weiß, stürzt sich ebenfalls ins Getümmel, um Marius zurück zu Cosette zu bringen. Letztlich schleust sich Javert als Doppelspion ein, mit dem Plan, die Revolte in Keim zu ersticken. Er wird jedoch schnell enttarnt und daraufhin sofort festgesetzt - man will ihn so schnell wie möglich beseitigen. Valjean bittet, diese Aufgabe selbst zu erledigen. Endlich erkennt Javert seinen Erzfeind. Der Inspektor hofft geradezu, nun erschossen zu werden, da dies seine Vorurteile gegenüber Straftätern bestätigen würde. Er glaubt nicht, dass ein Mann, der einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, je wieder ein ehrbarer Mann werden könne. Zu seinem Entsetzen befreit Valjean Inspektor Javert heimlich. Letzterer ist deswegen tief erschüttert in seinem Sinn von Ge(Recht)igkeit & Ordnung. Er kann nicht mit dem Wissen leben, in der Schuld eines Verbrechers zu stehen, weswegen er sich in die Seine stürzt.
Zurück auf den Barrikaden – etliche Freunde des ABCs sind bereits gefallen. Allerdings haben die Revolutionäre eine clevere Idee: sie tauschen ihre Kleidung mit der, gefallener Nationalgardisten. So entsteht das Gerücht, die Nationalgarde hätte sich auf die Seite der Patrioten gestellt, weswegen erstere in der Tat einige Zeit unschlüssig waren, welche Partei sie unterstützen sollen.
Am Ende dieses Aufstandes sind alle Freunde des ABC tot. Auch Éponine hat sich geopfert, um Marius vor einer Kugel zu beschützen. Durch Hilfe Valjeans, der den bewusstlosen Marius durch die Kanalisation Frankreichs trägt, überlebt der junge Mann. Ein glückliches Leben für das junge Paar scheint in Sicht. Da teilt Valjean seine traurige Vergangenheit mit Marius woraufhin dieser sich – und damit auch Cosette - von Valjean distanziert. Auf der Hochzeit des jungen Paares schleichen sich die Thénadies ein. Durch sie erkennt Marius, dass Valjean es war, der ihn auf den Barrikaden gerettet hatte. Er will Valjean, der sich mittlerweile in einem Kloster zur Ruhe gesetzt hat, um Verzeihung bitten. Durch den Verlust Cosettes ist Valjean jedoch sehr krank geworden – sie finden ihn bereits auf dem Sterbebett auf. Seine letzte Ruhe findet Jean Valjean schließlich auf einem Armenfriedhof.
Natürlich war dies bloß eine grobe Nacherzählung der Geschehnisse – das Original ist in drei Bücher unterteilt und umfasst, je nach Auflage, rund 600 Seiten. Der Roman zählt zur Romantik und spiegelt Hugos persönliches Interesse an der französischen Revolution wieder. Die detailgetreue Wiedergabe der schwierigen Verhältnisse der Unterschicht zeichnen ihn bis heute aus.
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