Beschreibung & Analyse „Salome“ (Lovis Corinth)
Sie ist attraktiv, anziehend, manipulativ - und obendrein eine biblische Figur. Die Rede ist von Prinzessin Salome, zumindest dem deutschen Maler Lovis Corinth zufolge. Mit seiner Interpretation ist er der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts weit voraus - schockiert & provoziert …
Einleitung
Die erste Betrachtung löst Unbehagen aus. Durch den thematischen Kontrast einer schönen Frau und eines körperlosen Kopfes wirkt die Szene beunruhigend, was den Betrachter dennoch auf gewisse Weise fasziniert und dem Gemälde eine bedächtige, angespannte Stimmung verleiht. Zwar sind mehrere Personen dargestellt, das Gefühl eines gesellschaftlichen, einfühlsamen oder entspannten "Miteinanders" unter den Figuren bleibt jedoch aus.
Das 1900 entstandene, 127x148 cm große Gemälde "Salome" von Lovis Corinth (geboren am 21. Juli 1858 in Tapiau, Russland, gestorben am 17. Juli 1925 in Zandvoort, Niederlande) wurde, trotz großer Hoffnungen, von münchner Kritikern nicht gut aufgenommen, da die Figur der Salome bislang ausschließlich rein und unschuldig dargestellt wurde, was seiner neuen Interpretation gegenübersteht.
Infolgedessen wurde es für eine Ausstellung der Münchener Sezession abgelehnt. Er zog daraufhin nach Berlin. Das er Kontakt zu Walter Leistnikow hatte, der 1989 gemeinsam mit Max Liebermann und Paul Cassierer die Berliner Secession gründete, kam ihm zugute. So wurde "Salome" in der zweiten Sezessionsaustellung im Juli 1900 ausgestellt, wo sein Gemälde ihm endlich den gewünschten Erfolg einbrachte.
Nachdem Corinth 1904 im Deutschen Künstlerbund aufgenommen wurde, stellte er "Salome" erneut im Königlichen Kunstausstellungsgebäude am Königsplatz aus. Dies war die erste Gemeinschaftsausstellung des Deutschen Künstlerbundes, an dem sich auch die Münchener Sezesssionisten beteiligten.
Als Sezessionisten werden allgemein Künstler benannt, die sich gezielt von der Masse abspalteten, da sie der Meinung waren, die vorherrschende Kunst würde dem Zeitgeist nicht mehr gerecht werden. In Gruppierungen versuchten sie so gezielt, eine neue "modernere" Strömung zu etablieren.
Beschreibung
Corinth thematisiert in seinem Gemälde die biblische Geschichte um die Enthauptung von Johannes dem Täufer, wobei der Figur der Salome die meiste Aufmerksamkeit zukommt. Inspiriert wurde er dabei unter anderem von dem 1893 von Oscar Wilde ( Klicke auf den Namen um meinen Beitrag über den polarisierenden Schriftsteller zu lesen) veröffentlichtem Drama "Salomé", in dem die Figur als (vor allem erotisch) selbstbestimmte Frau dargestellt wurde.
Im Zusammenhang mit der früheren Übung des Künstlers in Aktmalerei könnte dies ein Grund sein, wieso Corinth sich dazu entschied, die Brüste der Dargestellten vollständig unbedeckt zur Schau zu stellen. Ein weiterer Faktor dieser Entscheidung war, so vermute ich, der enge Kontakt des Malers zu Max Klinger, der mitunter für seine erotischen Themen und Darstellungen bekannt war, bei denen er sich wiederum an den Theorien Freuds orientierte.
Doch dies ist keineswegs der einzige Grund, wieso man sofort erkennt, dass Salome eine der zentralen Rollen der Szene einnimmt. Sie trägt Perlenketten um den Hals und auf dem Haupt, ihre hochgesteckten Haare sind mit bunten Blumen verziert. Man erkennt einen Schleier aus leichtem Stoff, der von ihrem Kopf fließend über Schultern und Rücken fällt, und den sie zusammengerafft in ihrer linken Hand hält. Sie ist geschminkt, was ihre schönen Gesichtszüge besonders zur Geltung bringt und sie zusammen mit dem restlichen Schmuck - etliche Ringe an der rechten, sowie Armreifen an der linken Hand - unverkennbar als eine Frau in gehobener sozialer Stellung zu erkennen geben. Gekleidet ist Salome in einem gemusterten Rock vom Torso abwärts, ein Tuch mit floralen Verzierungen liegt über ihren Armen. Sie steht nach vorn gebeugt über einer dunklen Schale, in der ein abgetrennter Kopf mit dunkeln Haaren und Bart sie aus offenen Augen anstarrt. Präsentiert wird Salome diese Schale auf dem Hinterkopf eines Dieners, der vor ihr niederkniet.
Die linke Bildseite wird von einem von Kopf bis Oberschenkel dargestellten Mann dominiert, der dem Betrachter schräg den Rücken zudreht. Er hat kurze dunkle Haare, buschige Augenbrauen und ein Muttermal auf der Wange am rechten Ohr. Er trägt, soweit ersichtlich, nichts als einen gewickelten Lendenschurz aus gelb nuanciertem hellbraunem Stoff. Den linken Arm hält er hinter seinen Rücken, in der Rechten hält er ein nach unten gerichtetes, blutiges Schwert.
In der rechten, oberen Ecke sind drei Figuren abgebildet. Eine Frau schaut den Betrachter direkt an. Sie hat ein dunkles, olivgrünes Tuch um den Kopf gelegt und hält einen Wedel aus Pfauenfedern mit einem verzierten Griff aus Holz und Metall in ihrer rechten Hand. Zudem liegt ein goldener Reifen um ihre Stirn. Rechts von ihr steht eine weitere Frau, die ebenfalls ein Tuch aus rotem und goldgelben Stoff um Kopf und Schultern trägt, unter dem ein paar dunkle Locken heraus lugen.
Unter ihr, an der rechten Bildkante, ist der Gesichtsausschnitt eines kahlköpfigen Mannes zu erkennen. (Seine linke Hand ist mit der Innenseite zum Betrachter erhoben, scheint jedoch von einer weiteren Hand am Handgelenk umklammert zu werden.)
Den rechten, unteren Bildbereich nimmt ein weiterer Mann ein, der wiederum die Beine einer unbekannten Person hält, von der man nur die Füße und Beine sieht, die mit silbrig-rotem Stoff umhüllt sind. Er hebt die Beine der Figur an den Waden nach oben. Man erhascht durch seine Körperhaltung einen Blick auf eine Tätowierung auf der Innenseite seines linken Oberarms, die an einen Anker erinnert.
Im Hintergrund ist lediglich ein gekachelter Boden und eine von vier Bogengängen durchbrochene Mauer zu sehen, die, durch einen kleinen Absatz getrennt, beide in hellen, erdig-neutralen Farben gehalten sind.
Tiefenebenen
Das ausschnitthafte Bild weist vier Tiefenebenen auf. Die erste Ebene bilden die zwei Männer auf beiden Seiten des Bildes. Der Betrachter schaut quasi über ihre Rücken in die Szene hinein. Sie fungieren als Identifikationsbrücken in den Bildraum, sodass man das Gefühl hat selbst hinter ihnen zu stehen. Ein weiterer Aspekt, der den Betrachter mit dem Bild verbindet, ist die Frau mit dem Wedel in der rechten Ecke, da sie den Betrachter direkt ansieht.
Die restlichen Figuren scheinen keinen Bezug zum Betrachter zu nehmen. Da die Beine auf der Rechten und das Schwert auf der Linken den Durchgang zum Bildmittelpunkt versperren, ist der Raum dennoch nicht betretbar, was das Bild wiederum unzugänglicher macht.
Die zweite und wichtigste Ebene, die zugleich den Bildmittelpunkt darstellt, besteht aus Salome, der Schale mit dem Kopf und dem Mann, der sie hält. Seiner Aufgabe und der knienden Haltung nach zu urteilen ist er ein Sklave.
Die dritte Ebene besteht aus den beiden Frauen in der rechten Ecke. Der glatzköpfige Mann auf der rechten Bildseite fungiert als Übergang zwischen der ersten und dritten Ebene. Zwar gehört er zu der ersten Ebene, da man bei genauer Betrachtung erkennt, dass die nach oben gerichtete Hand zu der unbekannten Person gehört. (Er hält mit der rechten Hand sein Handgelenk umklammert. Unter dem Rücken des tätowierten Mannes sieht man seine Linke, die den Ellenbogen beziehungsweise Unterarm des Unbekannten stützt.) Durch seine Platzierung unmittelbar neben den beiden Frauen schafft er jedoch besagte Verbindung.
Die vierte Ebene ist letztlich der Hintergrund, bestehend aus Wand und Boden.
Bildkomposition
Wie zuvor erwähnt, ist das Thema des Gemäldes die Enthauptung von Johannes dem Täufer. Der Bildtitel lautet jedoch "Salome", die durch ihre Aufmachung selbstverständlich heraussticht. Betrachtet man das Bildgefüge jedoch als Komposition seiner einzelnen Teile, tut sich eine neue Sicht der Dinge auf. Die deutlichsten ausgesprochenen Linien des Vorder- beziehungsweise Mittelgrundes weisen nämlich nicht etwa auf Salome selbst, sondern den Kopf in der Schale.
Auf der linken Seite wird das Gefäß durch den Körper des Mannes und dessen Schwert eingerahmt. Anschließend grenzen die Füße (beziehungsweise weiterhin Beine), sowie die Arme und der Kopf des Mannes, der die Beine trägt den Mittelpunkt ein. Zuletzt dient der gebeugte Körper Salomes selbst als Abgrenzung zu den Figuren in der rechten Bildecke, womit ein angedeuteter Kreis den eigentlichen thematischen Kern des Bildes zu erkennen gibt.
Diese schrägen, teilweise gekrümmten Linien ergeben ein dynamisches Bildgefüge, welches durch die geraden, statischen Linien des Hintergrundes wie die der Bodenkacheln, der Stufe am Übergang von Wand und Boden und die Säulen der Hinterwand komplementiert werden.
Farbflächen
Bei Betrachtung der Farbflächen wird dem Kopf erneut eine Sonderstellung zugeschrieben. Der Hintergrund, Salome, und die beiden Männer im Vordergrund bilden eine helle Fläche, in der ockerfarbene und beige Nuancen überwiegen. So werden der dunkelhäutige Mann und die Schüssel auf seinem Hinterkopf mit dem Kopf darin geschickt durch eine dunklere Farbgebung beziehungsweise den hohen Helligkeitskontrast hervorgehoben.
Der einzige andere, dunklere Bildteil befindet sich in der rechten oberen Ecke, in der die beiden Frauen und der Wedel abgebildet sind, sowie die Beine in der rechten unteren Ecke.
Achtet man besonders auf den Kontrast zwischen hellen und dunkelten Farbflächen, ergeben sich fast zwei verschobene, ineinandergreifende Halbkreise, der "helle Halbkreis" (gelbe Linie) mit dem linken Mann, dem Hintergrund und Salome, sowie dem "dunklen Halbkreis" (blaue Linie) mit dem knienden Mann und der Schale auf seinem Kopf, den eingehüllten Beinen und den beiden Frauen.
Bildraum I – Details
Vor allem Salome, aber auch die beiden anderen Frauen wurden mit vielen Details ausstaffiert. Bis auf den Schleier wurde ihre Kleidung mit verschiedenen Mustern verziert, und man erkennt sogar die unterschiedlichen Edelsteine, die in ihre Ringe eingefasst sind. Auch die Pfauenfedern des Wedels wurden fein und präzise herausgearbeitet. Der Stoff, der die Beine im Vordergrund umhüllt, weist auf dem silbrigen Untergrund ähnliche rote Details auf, wie auf der Kleidung Salomes. Schon der Umstand, dass die Tätowierung des Mannes auf der rechten Seite erkennbar ist, zeigt, dass Corinth auch hier besonderen Wert auf die Details gelegt hat.
Im Gegensatz dazu ist der Hintergrund geradezu blank. Die Konturen des Steins und der Bodenkacheln sind nur sehr fein angedeutet, um dem Raum Echtheit und Plastizität zu verschaffen. So deuten die Linien der Kacheln auf dem Boden zum Beispiel einen schräg nach hinten verlaufenden, perspektivischen Fluchtpunkt an, was die tiefenräumliche Wahrnehmung fördert. Um diesen Effekt weiter auszubauen, nutze Corinth vor allem Überschneidung. Keine Figur ist gänzlich zu sehen, da sie entweder von anderen überdeckt, oder vom Bildrand abgeschnitten wird.
Bildraum II – Perspektive
Ein weiteres Mittel zur Erzeugung des Bildraumes, dessen sich der Künstler bediente, ist die Verkleinerung nach hinten. So ist der Mann auf der linken Seite beispielsweise deutlich größer als die Frau mit dem Wedel in der Hand, die ganz hinten zu stehen scheint.
Da der Betrachter frontal auf die Szene schaut, und die Linien schräg nach hinten zulaufen, erkennt man, dass bei diesem Bild die Zentralperspektive vom Künstler gewählt wurde.
Farbgebung
Auch was die Farbe und Beschaffenheit der Haut Salomes anbelangt, hebt sie sich von den anderen Figuren ab. Ihr Hautton erscheint konträr zu dem olivfarbenen Unterton in der Haut der Männer sehr warm, fast schon rosa. Im Gegensatz zu den definierten Körpern der Männer, wirkt ihr Leib weich und rund. Sie ist außerdem die einzige Figur, deren Haare nicht (dunkel)braun oder schwarz erscheinen. Stattdessen zeigt Corinth Salome mit rotbraunem Haar.
Ebenfalls fällt auf, dass die dunkelblaue Farbe der Schüssel einen direkten Kontrast zur roten Kleidung der Frau am rechten Bildrand darstellt, was die Figuren auf der Deutungsebene miteinander verknüpfen könnte, da ansonsten vergleichsweise wenige gesättigte oder intensive Farben verwendet wurden, wenn man von Details wie den Blumen in Salomes Haaren absieht. Dennoch herrschen in dem Gemälde warme, beige-braune Töne vor.
Licht
Das Licht scheint von der linken Seite zu kommen, da der Rücken des Mannes mit dem Schwert durch helle Stellen stark beleuchtet erscheint. Der Mann auf der rechten vorderen Seite wird nicht ganz so stark beleuchtet. Die Beine, die er hält, werden allenfalls an der Oberseite beleuchtet, wohingegen die Seitenflächen deutlich dunkler sind.
Auch Salome wird, vor allem an der echten Hand und der Schulter, stark beleuchtet. Die beiden Frauen hinter ihr sehen deutlich dunkler aus. Wahrscheinlich, weil das Licht von Salome und dem linken Mann verdeckt wird. Auch der Rücken des knienden Mannes erscheint deutlich heller als die rechte Seite seines Körpers. Ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass die Lichtquelle sich auf der linken Seite befinden muss, ist das Gesicht der linken Frau in der rechten Ecke. Ihre linke Kopfhälfte liegt noch im Licht, während die Rechte vollständig im Schatten liegt.
Vor allem die Schüssel und ein Teil des Fächers reflektieren das Licht sehr starke, was auf eine glatte, glänzende Oberflächenbeschaffenheit deuten lässt.
Plastizität
Die Illusion von Plastizität der Personen und Gegenstände wird durch dunkle Schattierungen, wie an den Sofffalten der Kleidung der Frauen, dem Lendenschurz des linken Mannes und den Rücken beider Männer erzeugt. Zusätzlich bedient sich Corinth größerer, dunkler Farbflächen, um den Wanddurchbrüchen im Hintergrund Plastizität zu verleihen.
Farbauftrag
Corinth entschied sich für Öl auf Leinwand als Medium für dieses Werk. Er mischte seiner Farbe keine sichtlichen Materialien bei, was es ihm ermöglichte, die Farbe präzise aufzutragen. Feine, weiche Pinsel, wie etwa Marderhaarpinsel, ermöglichten ihm selbst kleinste Details zu ergänzen. Sein Duktus erscheint locker und schwingend, jedoch keinesfalls zufällig, sondern sehr bestimmt. Zwar blendete er die Farben stellenweise sehr weich ineinander, etwa bei der Haut oder dem Schleier Salomes, wendet aber an anderer Stelle bewusst härtere Kontraste an, wie bei den drei Männern, um gekonnt Weiche oder Härte anzudeuten.
Und was heißt das jetzt?
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